25. Okt. 2005

Neue Zürcher
Zeitung NZZ

Verabschiedet sich Aserbaidschan
aus dem Europarat?


Parlamentswahlen letzte Chance
für Nachweis des Willens zur Demokratie.


Von Hartmut Hausmann

Die Parlamentswalen in Aserbaidschans am 6. November könnten wegweisend für die zukünftige Verankerung des Landes in der europäischen Staatenfamilie sein. Verlaufen sie demokratisch und fair besteht die Chance zu einem politischen Neuanfang, zu einer wirtschaftlich und sozial ausgeglichenen Entwicklung des an Erölvorkommen reichen Landes. Bisher haben von dem Reichtum nur wenige Clans des Landes profitiert, während die Masse der Bevölkerung ausserhalb der Hauptstadt in tiefer Armut verharrt. Findet die Wahl allerdings wie alle vorherigen in einer repressiven Atmosphäre begleitet von massiven Unregelmässigkeiten und Wahlfälschungen statt, droht dem Land der Ausschluss von der Mitarbeit im Europarat. Das wäre ein Novum in der Geschichte der Strassburger Demokratie- und Menschenrechtsorganisation.

Nach wiederholten, erfolglos gebliebenen Mahnungen in den vergangenen Jahren, erklärte die Parlamentarische Versammlung des Europarats im letzten Juni die Novemberwahlen zum Prüfstein für die demokratische Glaubwürdigkeit Aserbaidschans und damit für die weitere Mitarbeit des Landes im Strassburger Staatenbund. Sie forderte Regierung und Opposition auf, sich offiziell zu Demokratie, Gewaltfreiheit und Achtung der Menschenrechte zu bekennen. Im Januar 2006 soll dann, fünf Jahre nach der Aufnahme des Landes verbunden mit seiner Verpflichtung, die Normen des Europarats zu erfüllen, geprüft werden, ob die weitere Mitarbeit von Abgeordneten aus Aserbaidschan in Strassburg noch sinnvoll ist.

Wie der Schweizer Berichterstatter Andreas Gross, der sich in den letzten vier Jahren 21 mal Land in dem Kaukasusland aufhielt, hat es in dieser Zeit nicht einmal freie und faire Wahlen gegeben. Seit den durch Betrug und Gewalttätigkeiten besonders stark gekennzeichneten Präsidentschaftswahlen von 2003 sei die Stabilität im Lande vor allem auf Kosten der Menschenrechte, wie der Versammlungsfreiheit, der freien Meinungsäusserung und dem Recht auf faire Gerichtsverfahren, aufrechterhalten worden. Kundgebungen der Opposition waren verboten und die elektronischen Medien standen unter staatlicher Kontrolle. Die Ermordung des Herausgeber des Wochenmagazins Monitor habe ein Klima der Angst in der ganzen Oppositionspresse verbreitet.

Um zu sehen, ob die Warnung vom Sommer Wirkung gezeigt hat, entsandte die Strassburger Organisation, unabhängig von der durch die OSZE und den Europarat üblichen Beobachtung der Wahlen am Tag der Abstimmung selbst, eine fünfköpfige Parlamentarierdelegation unter der Leitung des Niederländers Leo Platvoet und des Berichterstatters Gross nach Baku, um den Wahlkampf, die Vorbereitungen des Urnengangs, die Betätigungsmöglichkeiten der Medien sowie das politische Umfeld vor Ort zu überprüfen. Doch abgesehen von der Möglichkeit der Kandidaten, sich im Vergleich zu früheren Wahlen problemlos zu registrieren, sahen die Europaratsabgeordneten wenig Anlass zur Zuversicht. Der leichtere Aufstellung als Kandidat führt zu einer sehr grossen Zahl von Bewerbern für die Parlamentssitze. Dieser Umstand aber könnte den bisherigen, und daher bekannten Abgeordneten der Regierungspartei zugute kommen, da vor drei Jahren das per Referendum das Proporzwahlrecht zugunsten der Mehrheitswahl abgeschafft wurde. Positiv registriert wurde auch der offenbar leichtere Zugang der Kandidaten zu den Massenmedien, trotz der erlassenen restriktiven Bestimmungen durch die zentrale Wahlkommission.

Da es bei früheren Wahlen zu mehrfachen Stimmabgaben von Wahlberechtigten gekommen war, wurden auf Grund internationaler Empfehlungen jetzt Wählerkarten herausgegeben. Doch schon im Vorfeld erwies sich diese Massnahme als Fehlschlag, da einige Bürger gar keine Karte erhielten, andere gleich mehrere, weil offenbar auch für Verstorbene und im Ausland lebende Bürger Wahlberechtigungen ausgestellt wurden. Weil rund eine Million Karten zuviel verteilt wurden, soll nun kurzfristig durch die Kennzeichnung der Wähler nach ihrer Stimmabgabe mit nicht abwaschbarer Tinte eine Mehrfachwahl vermieden werden.

Da die Strassburger Empfehlung zu Absprachen zwischen Opposition und Regierungsparteien über die Wahlkampfführung als vertrauensbildende Massnahme missachtet wurde, herrscht im Land ein aggressives, feindliches Klima, das nach Ansicht von Beobachtern leicht in bürgerkriegsähnliche Ausschreitungen münden könnte. Dazu hat vor allem beigetragen, dass Demonstrationen der drei Oppositionsparteien durch brutale Einsätze der Sicherheitskräfte unterbunden wurde.

Faire Wahlchancen für die Opposition sind nach Aussagen der Beobachter zusätzlich durch die neue Gesetzgebung erschwert, wonach in privaten Fernsehkanälen keine politischen Diskussionsrunden stattfinden dürfen. Die repressive Stimmung wird auch dadurch deutlich, dass die Manager von Betrieben gehalten sind, Stimmen ihrer Mitarbeiter zugunsten der herrschenden Clans zu sichern. Hinzu kommt eine Kampagne von Präsident und Regierung zur Diffamierung der Opposition, die vom Ausland gesteuert sei, um leichter an das Erdöl zu kommen.


Andreas Gross



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