23. März 2005

NZZ

Runder Tisch zu Tschetschenien
soll fortgesetzt werden


Von Hartmut Hausmann

Ob eine politische Lösung des Tschetschenien-Konflikts nach dem Tod des früheren tschetschenischen Präsidenten Aslan Maschadow nun noch schwerer zu erreichen ist, oder ob Russlands Präsident Wladimir Putin endgültig eine militärische Lösung sucht, darüber mochte beim ersten Treffen am vom Europarat organisierten Runden Tisch in Straßburg niemand eine Prognose abgeben. Doch allein, dass der im Januar von der Parlamentarischen Versammlung des Europarats geplante Dialog nach der Tötung Maschadows am Montag doch noch zustande kam, wird in Straßburg als Erfolg gewertet. Dass bei diesem Treffen vor allem von russischer Seite und von den pro-russischen Tschetschenen zunächst nur vorfabrizierte Statements abgegeben wurden und wenig Bereitschaft zu einer wirklichen Diskussion bestand, konnte in dieser ersten Runde wohl kaum anders erwartet werden.

Als ermutigendes Fazit des Treffens sieht der Schweizer Nationalrat Andreas Gross, dem als Tschetschenien-Berichterstatter des Europaratsversammlung die Leitung des Runden Tisches übertragen worden war, die Tatsache an, dass bei dem neunstündigen Treffen von allen 31 Teilnehmern, die sich zu Wort meldeten, die Notwendigkeit eines solchen Dialogs an einem neutralen Ort bestätigt wurde. Dies um so mehr, als erst Ende Januar die Einigung über eine weitreichende finanzielle, wirtschaftliche und politische Selbständigkeit der Kaukasusrepublik innerhalb der russischen Föderation gescheitert war, obwohl diese zunächst ermutigend verlaufenden Gespräche durch eine einseitig von Maschadow verkündigte Waffenruhe der tschetschenischen Widerstandskämpfer unterstützt worden war.

Nach diesem Rückschlag wurde jetzt in Straßburg nahezu einmütig auch der Wunsch deutlich, der Europarat solle sich weiter beim Aufbau einer demokratischen Infrastruktur und der Verbesserung der Menschenrechtssituation engagieren. Auch wenn von russisch-tschetschenischer Seite immer wieder von großen Fortschritten bei der Normalisierung des täglichen Lebens und der Arbeit der Administration die Rede war, der nun der wirtschaftliche und soziale Wideraufbau mit Unterstützung möglichst des Westens folgen müsse, so bemühte sich auch diese Seite erkennbar darum, nicht im alte Schwarz-Weiß-Denken verhaftet zu bleiben.

Immerhin war sich beispielsweise der amtierende tschetschenische Präsident Ali Alchanow mit den moskaukritischen NGO's darin einig, dass ohne eine tief greifende Verbesserung der Menschenrechtslage keine dauerhafte Befriedung der Kaukasusrepublik möglich sein werde. So wurde auch der Vorschlag zur Einsetzung einer "Wahrheitskommission" zur Aufarbeitung der Menschenrechtsverbrechen von niemandem rundheraus abgelehnt. Auch ließen sich die Vertreter der gegenüber Moskau kritisch eingestellten NGO's keineswegs von tschetschenischen Oppositionellen vereinnahmen, sondern nahmen beide Seiten gleichermaßen in die Pflicht, wenn es zu positiven Veränderungen kommen solle. Als noch bemerkenswerter empfand es der deutsche Russland-Berichterstatter Rudolf Bindig, dass bis auf eine Ausnahme ganz zum Schluss, niemand die sonst von Russland immer wieder bemühte Terminologie benutzte, vor allem der internationale Terrorismus sei für die Lage in Tschetschenien verantwortlich. Im Gegenteil, mehrfach wurde betont, der Schlüssel zur Lösung des Konflikts liege allein bei Russen und Tschetschenen.

Für alle Teilnehmer des Runden Tisches gibt es zu dem weiteren Verbleib Tschetscheniens in der russischen Föderation derzeit keine Alternative. Interessant aber dürfte in den weiteren Gesprächen die Frage werden, wie viel an moderatem Separatismus künftig erlaubt sein wird, um sich einer politischen Lösung überhaupt annähern zu können, meint Bindig. Und die von Gross gehegte Hoffnung, dass die Frage einer Autonomie weniger in Modellen, sondern vielmehr als Prozess in einem demokratischen Kontext diskutiert werden sollte, lässt sich, soviel ist nach den ersten neunstündigen Beratungen absehbar, wohl nur in ganz kleinen Schritten erfüllen.

Eine Wertung über einen Erfolg oder Misserfolg mochte nach der ersten Runde dieser Europaratsinitiative noch niemand abgeben. Doch eine Episode wird es nicht bleiben, da nahezu alle Teilnehmer eine Fortsetzung des Dialogs wünschten. Über das wie und unter welchen Bedingungen soll Anfang Mai in Straßburg entschieden werden. Voraussichtlich im Juni ist eine zweite Runde möglicherweise in Moskau und später in Grosny geplant. Enttäuscht zeigte sich Gross vom Fernbleiben von drei prominenteren tschetschenischen Oppositionellen. Obwohl sie fest zugesagt hatten, nannten sie als Begründung mangelnde Repräsentativität der Runde. Dies deute auf eine geringe Diskussionsbereitschaft hin, deren Ausmaß er offenbar unterschätzt habe, räumte Gross ein.


Mail an Andreas Gross



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