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04.09.2004
Europarat
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Es kann nur eine politische Lösung geben!
Sehen Sie nach den Präsidentschaftswahlen in Tschetschenien neue Perspektiven für eine politische Lösung im kaukasischen Kriegsgebiet? Oder deuten die jüngsten Terroranschläge darauf hin, dass die Gewalt jetzt erst recht eskaliert?
Beides schliesst einander nicht aus: Es ist eine offensichtliche Tatsache, dass die Gewalt derzeit eskaliert und zwar unter der Verantwortung beider Seiten. Die Separatisten fühlten sich durch die einseitige Manifestation des Machtwillens der Russen durch den Wahlakt an die Wand gedrückt und haben so ihrerseits die Schraube der Gewalt grausam weitergedreht.
Jegliche politische Lösung, was immer eine auch nur minimale Verständigungslösung darstellt beginnt selbstverständlich mit der Ruhe der Waffen, dem Waffenstillstand. Der ist deshalb derzeit noch schwieriger zu realisieren, weil jede Seite sich durch die andere in der Verwendung von noch mehr Gewalt gerechtfertigt glaubt.
Doch ich sehe immer politische Perspektiven; solche aufzuzeigen ist meine schwierige Aufgabe und Pflicht. Und in unserer über einstündigen Diskussion mit dem gewählten neuen Präsidenten haben sich durchaus Möglichkeiten aufgetan.
Alu Alchanow, der neue Präsident in Grosny, schliesst Verhandlungen mit den Rebellen aus. Steht zu befürchten, dass der russische Präsident Wladimir Putin in dem Konflikt nun nur noch auf eine militärische Lösung setzt?
Glücklicherweise wird ja jetzt im Interesse der armen Kinder sogar mit den Besetzern verhandelt, welche mit der fundamentalistischsten Fraktion der Rebellen identisch sein dürften. Alchanow hat uns gegenüber aber auch betont, dass er sich bewusst sei, dass man Frieden nur mit der und nicht ohne die andere Site finden könne und dass er mit allen bereit sei zu diskutieren, welche auf den Gebrauch von Waffengewalt verzichten würden und bisher kein Leben getötet hätten. Dies ist eine Basis, auf der sich etwas aufbauen lässt. Putin hat uns gegenüber im dreistündigen Gespräch vom Januar 2000 bereits betont, dass er sich bewusst sei, dass es nur eine politische Lösung geben würde. Dass dies nur als Dialog- und Verständigungsanstrengung verstanden werden kann, muss man ihm trotz aller Übermacht und Machtgläubigkeit deutlich in Erinnerung rufen.
Befürchten Sie eine neue Welle von Menschenrechtsverletzungen? Durch Terror der Aufständischen? Durch Folter, Morde, Vertreibungsaktionen seitens des russischen Militärs und ihrer tschetschenischen Verbündeten, wobei nicht zuletzt die Zivilbevölkerung betroffen ist?
Diese neue Welle von Menschenrechtsverletzungen hat bereits im Frühjahr begonnen und zwar von beiden Seiten. Und dies, obwohl der Standard der Verletzungen, sozusagen, schon enorm hoch ist. Zu denken ist nicht nur an die Selbstmordanschläge der Separatisten, sondern auch an die Entführungen Oppositioneller, das Verschwindenlassen und die Folter von Kritikern und deren Angehöriger, die ungeheueren Einschüchterungen jeglicher Andersdenkender, an denen die russischen Sicherheitsbehörden, deren tschetschenische Kollegen und die Rebellen und manchmal sogar alle drei in einer seltsamen, absurden «Kooperation» beteiligt sind.
Wie können in dieser Situation die internationale Gemeinschaft und besonders der Europarat zu einer Deeskalation beitragen, um den Weg für eine politische Lösung im Kaukasus offen zu halten?
Erstens einmal, indem man mit den Hauptverantwortlichen, ich denke da natürlich an Herrn Putin, deutliche Worte findet und sich nicht wie Bundeskanzler Schröder am Tag nach den Wahlen aus der Verantwortung schleicht, Putin bloss zudient und sich nur für die Höhe des Ölpreises und das Ausmass der russischen Ölproduktion interessiert. Dieses Vorgehen Schröders, hat mich als überzeugten Europäer entsetzt; es kann nicht sein, dass die gegenwärtige US-Regierung die Menschenrechtsverletzungen und die völlig undemokratische Wahl besser und präziser einzuschätzen weiss als eine der wichtigsten Regierungen der EU.
Zweitens muss Europa sich als Vermittlungsmacht engagieren, vor Ort Garantien übernehmen und die Friedensverhandlungen sowohl in Gang setzen wie auch absichern. Es müssen dies europäische Persönlichkeiten und Instanzen sein, welche das Vertrauen beider Seiten geniessen; solche lassen sich finden.
In der Politischen Kommission der Parlamentarischen Versammlung des Europarates werde ich in meinem Bericht entsprechende, unterschiedliche Vorschläge machen und verschiedene mögliche Varianten zur Diskussion stellen.
Sollte die Parlamentarische Versammlung bei ihrer Herbstsitzung neue Initiativen ergreifen? Was wäre da möglich?
Wir müssen und werden verschiedene neue Initiativen erarbeiten. Der Kern aller Vorschläge ist der Versuch, Dialogprozesse in Gang zu bringen, an denen sich VertreterInnen aller Seiten begegnen und verschüttetes Vertrauen ineinander wieder aufzubauen beginnen. Solche Prozesse sind in unterschiedlichen Formaten und unter verschiedenen Dächern und unter unterschiedlichem Ausmass der Beteiligung internationaler Instanzen und Persönlichkeiten möglich. Ich werde verschiedene Varianten ausarbeiten und ich bin sicher, wir werden anfangs Oktober ein klein wenig weiter sein und etwas Licht ins das gegenwärtige Dunkel bringen.
Andreas Gross
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