05. Jan. 2012

Weltwoche

Die feinen kleinen Unterschiede in der Direkten Demokratie


Unterschriften sind die Zündhölzer und Feuerzeuge der Direkten Demokratie. Deshalb sollte mit ihnen niemand spielen.

Von Andreas Gross
Politikwissenschaftler und SP-Nationalrat, Spezialist von Theorie und Praxis der Direkten Demokratie, war auch mal Präsident der Schweizer Juso (1979-1983) und hat für den Europarat in den vergangenen 17 Jahren über 60 Wahlen und Abstimmungen beobachtet.


Eine Volksinitiative ist im Grunde genommen eine spezielle Frage weniger Stimmberechtigter an alle Stimmberechtigten. Speziell ist die Frage deswegen, weil die Art ihrer Formulierung bereits eine Antwort enthält - jene, welche die Initianten und Fragesteller sich wünschen.

Motiviert werden die Fragesteller meist durch den Wunsch, dass sich etwas ändert im mit der Frage angesprochenen Themenbereich. Wird die Frage von genügend Stimmberechtigten als wichtig und die mit ihr verknüpfte Antwort von diesen als richtig angesehen, so finden sich die in Verfassung und Gesetz verlangte Zahl von Unterschriften in der dort ebenfalls vorgesehenen Frist. Dann müssen alle Stimmberechtigten eingeladen werden, ihrerseits die mit der Frage verbundene Antwort zu beurteilen. So haben die wenigen, welche die Frage gestellt haben, bei einer ausreichend grossen Zahl von Unterschreibenden das Recht, von allen Stimmberechtigten eine Bewertung ihrer Antwort zu bekommen. Diese erfolgt nach einer mehr oder weniger langen, kontroversen und intensiven öffentlichen Debatte im Rahmen der Volksabstimmung.

Die Volksinitiative kann somit als anspruchsvoller, kommunikativer gesellschaftlicher Prozess verstanden werden. Wer sie schultert, muss einiges zu tragen bereit sein. Er verlangt aber auch von vielen anderen Bürgerinnen und Bürgern nicht wenig. Die Staatskanzleien sorgen für die Einhaltung der gesetzlichen Regeln, Mitbürger lassen sich auf das Gespräch ein oder mindestens auf eine Auseinandersetzung, Verwaltung und Regierungen nehmen ausführlich Stellung, Parlamente diskutieren Frage und vorgeschlagene Antwort öffentlich, geben eine Stimmempfehlung ab, Druckereien drucken Abstimmungshefte, Plakate und Inserate, Parteien und Abstimmungs-Komitees versuchen zu argumentieren, die Medien bieten Diskussionsplattformen und die Bürgerinnen und Bürger müssen sich schliesslich der Anstrengung stellen, Frage und intendierte Antwort zu beurteilen.

Eine grosse politische Maschine also, die da mit einer Volksinitiative angeworfen werden kann. Ob sie in Betrieb gesetzt wird, hängt von einem einzigen Akt ab, der Unterschrift von einer ausreichenden, in der Schweiz fast überall aus guten Gründen der feinen Machtverteilung vergleichsweise geringen Zahl von Unterschriften. Die Unterschriften von Bürgerinnen und Bürger sind also die Anlasser dieser Maschine, die Zündhölzer der Direkten Demokratie. Deshalb verlangt das Gesetz einen sorgfältigen Umgang. Vorname, Name und Adresse genügen nicht mehr unter einer Volksinitiative. Es muss die Unterschrift sein. Und zwar eigenhändig und nur einmal. Alles Andere wäre strafbar und müsste von Amtes wegen geahndet werden.

Das war sogar der Spitze der Schweizer Jungsozialisten (Jusos) bewusst, als ihnen die SVP Schweiz zu nahe trat im vergangenen August mit ihrer Fünf-Millionen-Franken-Kampagne gegen die «Masseneinwanderung», den entsprechenden schweizweit ausgehängten finsteren Plakaten und dem Versand eines Initiativbogens in jeden einzelnen Haushalt mit der frankierten Rückantwortkarte. Die Juso-Spitze entschloss sich zu einer Protestaktion und rief auf zur Wahrnehmung der portofreien Antwort ohne oder mit einem Fantasienamen, jedoch ohne Unterschrift.

Einigen Berner Junggenossen und ihren Freunden scheinen die feinen kleinen Unterschiede in der Direkten Demokratie nicht bewusst gewesen zu sein. Wonach Namen eben nicht mit Unterschriften gleichzusetzen sind. So liess sich einer von ihnen mit dem Satz zitieren, er kenne Leute, die «aus eigenem Antrieb, aus Lust und Laune heraus SVP-Unterschriftenbögen mit falschen Unterschriften versehen» hätten. Damit gingen sie zu weit. Sie fälschten eine Unterschrift, das Elementarteilchen der Direkten Demokratie, das zusammen mit anderen den ganzen Prozess der Legimitierung einer politischen Reform auslösen kann. Hätten sie es bei einem Fantasienamen belassen, dann hätte die SVP zwar vergeblich das Rückporto bezahlt, doch dem Unterschriftenbogen hätte das auch für die SVP Wesentliche, die Unterschrift, gefehlt, und er wäre im Papierkorb gelandet.

Name oder Unterschrift, dazwischen liegt die feine Grenze zwischen einer unverbindlichen Protestaktion und einem Akt zivilen Ungehorsams. Mit letzterem überschreiten Protestierende ganz bewusst im Namen höherwertiger Normen die Grenze der Legalität und nehmen hierfür auch die gesetzlich vorgesehene Strafe in Kauf. Wobei auch in der so verstandenen lebendigen Demokratie der Zweck nicht jegliche Mittel heiligen kann und die nicht respektierte Norm als illegitim angesehen wird, was - und dies ist entscheidend - im vorliegenden Fall nicht ernsthaft behauptet werden kann. Denn wer eine Unterschrift unter einer Volksinitiative fälscht, verschafft ihr eine Bonität, die ihr nicht wirklich zukommt, dokumentieren Initianten mit dem Sammeln der Unterschriften doch die Legitimität ihrer Reformbestrebungen ebenso wie eine gewisse Repräsentativität ihres Anliegens. Das heisst, sie wollen damit der Gesellschaft zeigen, dass es sich in den Augen einer ausreichend grossen Zahl von Mitmenschen lohnt, sich mit ihrem Anliegen auseinanderzusetzen. Wer sich nicht auf diese feinen kleinen Unterschiede der Direkten Demokratie einlässt, verbrennt sich nicht nur seine Finger, sondern gefährdet mit einem Flächenbrand auch die Macht aller Bürgerinnen und Bürger.


Kontakt mit Andreas Gross



Nach oben

Zurück zur Artikelübersicht