14.08.2007

Aargauer Zeitung

Schnelle Mehrheitsentscheidungen schaden der kreativen Regierungsarbeit

Interview: Christoph Brunner AZ

Herr Gross, alt Bundesrat Friedrich kritisierte gegenüber der MZ, dass die Konkordanz im Parlament abnehme. Stimmen Sie zu?

Andreas Gross: Das Konzept der Konkordanz bezieht sich primär auf die Regierung, den Bundesrat. Dort meint sie einen rücksichtsvollen Umgang, eine gleichberechtigte Berücksichtigung aller beteiligten Kräfte und den Versuch, Lösungen vorzuschlagen, in denen alle Beteiligten ihre Anliegen und Interessenlage zumindest rudimentär wieder erkennen können. Das parlamentarische Pendant zur Konkordanz ist der Proporz. Dieses Wahlsystem kommt der Vielfalt der Schweiz entgegen und erlaubt auch Minderheiten, gut vertreten zu sein.

Und wie steht es mit der Kultur der Konkordanz?

Die Kultur der Konkordanz hat im Bundesrat bestimmt abgenommen, im Parlament gab es früher fast zu viel Harmonie unter der bürgerlichen Mehrheit, die Linke, vor allem auch die Linke links der SP (PdA, Poch, Linksgrüne), ist nie sehr zart behandelt worden. Man könnte fast sagen, dass der im Parlament angemessene harte Wettbewerb der Parteien und das der Konkordanz teilweise widersprechende Suchen von schnellen Mehrheitsentscheiden mittlerweile auch im Bundesrat sich verankert hat, was einer fruchtbaren und kreativen Regierungsarbeit nicht unbedingt förderlich ist.

Friedrich macht neben der SVP auch die SP dafür verantwortlich.

Das wäre mir zu simpel. Pole gab es im Parlament immer. Sie sind nur stärker geworden. Entscheidend ist aber, dass der alte bürgerliche Konsens CVP/FDP/SVP in der alten Mitte während der vergangenen 20 Jahre aufgebrochen ist. Die SVP wurde fundamental nationalkonservativer und unsozialer und zog Teile der CVP und FDP zu sich. Andere Teile der CVP stehen zu ihrer sozialpolitischen Verantwortung, während vor allem welsche und Tessiner FDPler eher zu ihrem liberalen Staat standen, dies im Gegensatz zum Zürcher Freisinn.

Was heisst das punkto Mehrheiten?

Die parteipolitischen Zusammensetzungen der Mehrheiten vor allem im Nationalrat sind vielfältiger geworden. Am häufigsten sind immer noch FDP/CVP/SVP-Mehrheiten, zugenommen haben aber SP/GP/CVP/FDP-Mehrheiten, seltener sogar SVP/SP-Mehrheiten; viel häufiger als früher werden Teile der bürgerlichen Parteien in die Minderheit versetzt. Das ist für ältere Bundeshauspolitiker etwas sehr Ungewöhnliches.

Lohnt sich denn für die SP die Polarisierung?

Die SP sucht primär Mehrheiten, nicht die Polarisierung. Die SP ist aber nicht bereit, ohne minimales Entgegenkommen faule Kompromisse zu schliessen. Dass sich die SP der rücksichtsloser gewordenen SVP oft widersetzt, ist ihre Aufgabe im Interesse der Mehrheit der Schweizerinnen und Schweizer.

Ähnliche Töne wie von Friedrich sind auch vom abtretenden Berner SVP-Nationalrat Hermann Weyeneth zu hören: Früher seien die Parteien weniger profilierungssüchtig gewesen. Stimmen sie zu?

Profil haben Parteien immer gesucht. Heute tun sie dies geschlossener, das heisst, sie werden mehr von einer stärker gewordenen Zentrale bestimmt. Vor allem suchen sie aber ihr Profil in verschiedeneren Richtungen und vermehrt auch gegeneinander. Dies schafft die grössere Hektik, welche Hermann Weyeneth meint.

Weyeneth sagt auch, dass die Parteien heute die Parlamentarier vermehrt zur Parteiräson zwingen - ist das so?

Das ist in der SVP sicher so. Die SP war schon immer relativ geschlossen und offen zugleich, dass heisst Übereinstimmungen gründen mehr auf gemeinsamen Einsichten und vorher begründete Abweichungen stören niemanden. Seit dem Verlust des Bundesratssitzes bemüht sich die CVP um mehr Geschlossenheit, während die sehr verschiedenen Tendenzen in der FDP häufiger deutlich werden.

Ein anderer Vorwurf ist, dass die Parteien zu PR-Büros verkommen ...?

Das können sie sich als relativ arme Wesen gar nicht leisten. Sie haben sich klassische PR-Methoden zu Eigen gemacht. In der Schweiz ist der Wahlkampf aber immer noch überdurchschnittlich dezentral geprägt, das Gewicht des Fernsehens und der Medien im Allgemeinen hat aber bestimmt zu genommen.

War früher alles besser?

Nein, gewiss nicht. Heute werde Differenzen offener und grundsätzlicher ausgetragen. Ich persönlich suche auch nach wie vor die Diskussion im Säli einer Beiz auch in einer kleineren Gemeinde. Eine gute Diskussion bedeutet, dass alle klüger nach Hause gehen , und die kann man im Café in Rorbas oder im Kreuz in Zurzach immer noch häufiger erleben als im Fernsehen DRS.

Friedrich konstatiert auch, dass der Wille zum Ausgleich abgenommen habe. Wie viel Ausgleich braucht die direkte Demokratie, damit sie funktioniert?

Alt-Bundesrat Friedrich bezieht sich dabei wieder vor allem auf den Bundesrat und da hat er auch Recht, denn dort braucht es diesen Willen, vor allem wenn zumindest drei der vier Bundesratsparteien erfolgreich sein wollen. Das ganze politische System der Schweiz - Föderalismus, Proporz, Zweikammersystem, Konkordanz, Direkte Demokratie - sorgt für verschiedenste integrative Momente, derer die in sich sehr fragmentierte und vielfältige Schweiz bedarf; die Direkte Demokratie selber sorgt aber für viel Spannung, Dissens und Kontroversen und das ist auch gut so.

Sie sind seit 1991 im Nationalrat. Wie erleben Sie den aktuellen Wahlkampf?

Gross: Viele konzentrieren sich heute vor allem, teilweise sogar nur noch, auf die Medien. Doch wie gesagt: Ich persönlich halte dies für falsch und suche persönlich immer noch möglichst viele kleine Diskussionen auch mit wenigen Bürgerinnen und Bürger und ohne Journalisten. Für die Qualität der Diskussion muss dies kein Nachteil sein.

Wird mit härteren Bandagen gekämpft als früher?

Gross: Nein. Es haben nur mehr solche angeschnallt, sie kämpfen mehr in verschiedenen Richtungen und in unterschiedlicheren Konstellationen. Das kann für die interessierten Bürgerinnen und Bürger aber auch durchaus interessanter sein.


Kontakt mit Andreas Gross



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