17. Jan. 2016

Sonntagszeitung



Hier lesen Sie, wie dieses Gespräch in
den Spalten der Zei-
tung verwendet wor-
den ist.
Dabei gingen einige Zusammenhänge und auch Quellen ver­loren - wie zum Beispiel der Hinweis auf Alt-Bundesrichter Nay.

Es muss klar sein, worüber abgestimmt wird


Nach der Minarettabstimmung kritisierten Sie die Medien massiv. Wie beurteilen Sie den Schweizer Journalismus im Vorfeld der Durch­set­zungs­initiative?

Im Herbst 2009 war die schweizerische Öffentlichkeit richtig überlastet. Der Fall der UBS und die Libyenkrise sowie die Finanzkrise besetzten sie völlig. Es gab fast keinen Platz zur intensiven Auseinandersetzung mit der Minarett-Initiative, ihrem Subtext und ihrer völlig unange­brach­ten menschenrechtlichen Fragwürdigkeit. - Heute ist dies in der Presse anders. Die Auseinandersetzung ist intensiv, die Hintergründe und Einwände werden ausgeleuchtet und hinterfragt. Auch kommen viele Beteiligte zu Wort, auch solche, die sich vor zwei Jahren noch glaubten zurückhalten zu können in der öffentlichen Debatte, und tragen engagiert zur Meinungsbildung bei.

Kritisch sehe ich nach wie vor die entsprechenden Anstrengungen des SRF in der deutschen Schweiz. Hier halten sich Radio und Fernsehen mit Debatten und Hintergrundorientierungen viel zu sehr zurück, be­schränken sich fast auf ein rituelles Pflichtprogramm mit wenig Erkennt­nis­gewinnen. Dies wiederum im Unterschied zum welschen Radio, das zeigt, was mit besonderen diskursiven Anstrengungen vor schwierigen Abstimmungen geleistet werden kann zur Sensibilisierung, Aufklärung und auch Mobilisierung der Bürgerinnen und Bürger.

Sie hatten für die Ungültigkeit der Durchsetzungsinitiative plädiert. Wes­halb?

Sowohl die Ausschaffungsinitiative als auch ihr Stiefkind zu ihrer Durch­setzung verletzen Grundrechte, rechtstaatliche Prinzipien sowie Grund­regeln der schweizerischen Rechtsordnung und der schweizerischen Gesetzgebung und könnten so nie verwirklicht werden; deshalb hätten sie auch nie für gültig erklärt und zur Volksabstimmung gebracht wer­den dürfen. Doch die Mehrheit der Bundesversammlung teilte diese Be­ur­tei­lung nicht.

Auch die Initiative Landesrecht vor Völkerrecht steht vor der Tür. Welche Instanz könnte die Gültigkeit von Initiativen klären?

Dieser letzte Wahlkampfschlager der SVP muss zwar erst noch ein­gereicht werden; doch die notwendigen Unterschriften scheinen tat­sächlich beieinander zu sein. Leider wird die Gültigkeit auch dieser Initiative nach dem alten bekannten Verfahren durch die Bundes­ver­samm­lung beurteilt werden, weil wir für ein neues, angemesseneres noch keine Mehrheit gefunden haben.

Doch es stört schon lange sehr viele mit Recht, dass eine rechtliche Frage, nämlich die nach der Gültigkeit einer Volksinitiative, von Po­li­ti­kern beurteilt wird und nicht von Bundesrichtern. Politikern wird immer – und dies ist verständlich – unterstellt, sie entschieden primär politisch und weniger rechtlich. Deshalb getrauen sich diese sich dann auch nicht, dem Recht zum Durchbruch zu verhelfen.

Dies wird oft auch von bürgerlichen Politikern kritisiert, doch eben im Nachhinein und erst zu spät. Ein Beleg dafür ist beispielsweise Bun­des­rat Arnold Koller, der im Nachhinein in seinen Memoiren erklärte, die Ausschaffungsinitiative hätte man für ungültig erklären müssen; im Moment, da es den Entscheid zu fällen galt, hörte man von ihm und seiner CVP nichts Entsprechendes und die Linken und die Grünen waren fast allein mit dieser These.

Wie sollte der Mechanismus genau aussehen?

Eine sanfte Neuerung wäre, dass wenn ein Drittel der Bundesver­samm­lung Zweifel an der Gültigkeit der Volksinitiative hat, dieser Entscheid dem Bundesgericht überlassen wird. Man müsste gleichzeitig nicht einmal die Gültigkeitserfordernisse verschärfen, sondern müsste sich nur besser, wie der frühere Bundesgerichtspräsident Nay immer an­ge­mahnt hat, an den Artikel 34 der Bundesverfassung erinnern, der ver­vlangt, dass klar und deutlich ist, worüber abgestimmt wird. Dies ist bei all den Volksinitiativen, welche die EMRK ritzen oder gar verletzen, nicht der Fall.

Ein anderer Aspekt ist die Benennung von Initiativen - Durchsetzungs-initiative ist im Grunde eine Irreführung. Müsste die Bundeskanzlei ihre Praxis ändern?

Die Bundeskanzlei ist heute gesetzlich verpflichtet, Werbung und kras­se Irreführungen im Titel zu verhindern und die Initianten zu einem kor­rekten Titel zu veranlassen. Mehr kann man von ihr kaum verlangen; ein Organ der Bundesverwaltung kann Initianten nicht einfach etwas befehlen. Und es gibt hier immer einen heiklen Auslegungsspielraum. So bringt der Titel «Durchsetzung» bloss den falschen formalen An­spruch der Initianten zum Ausdruck; er ist aber inhaltlich falsch, weil die Initianten eine drastische Verschärfung des Rechtes beabsichtigen und somit etwas «durchsetzen» wollen, das noch gar nicht zur Durch­set­zung anstehen kann. Vielleicht wäre auch hier hilfreich, dass National- und Ständerart das Bundesgericht entscheiden lassen, wenn ein Drittel von ihnen Zweifel hat, ob die Initianten mit dem Titel nicht zu sehr manipulieren wollen.

Sie sind Mitglied im Club Helvetique und engagieren sich mit der Edi­tion Le Doubs zivilgesellschaftlich. Auf welchen Wegen werden Sie Ihre Vorschläge in den demokratischen Prozess einbringen?

Ich werde wieder viel mehr Artikel und Bücher schreiben, im In- und Ausland Lehraufträge an Unis übernehmen, halte viele Vorträge, neh­me an Diskussionspodien teil und bin auch in verschiedenen Bildungs­wer­ken aktiv, unter anderem an der Willi Ritschard Bil­dungs­werkstätte in Solothurn und am Jurasüdfuss. Vielleicht müssen wir auch wieder einige die Demokratie fördernde Volksinitiativen schultern.


Kontakt mit Andreas Gross



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