13. Feb. 2014

Tagesanzeiger

Das Volk hat schon ein paarmal
Volksentscheide korrigiert



Es erreicht uns eine Mitteilung:

Guten Tag Herr Gross,
besten Dank für die interessanten Ausführungen. Ich habe daraus folgendes Kondensat gemacht:

Nationalrat Andi Gross hat prinzipiell gegen Rechsteiners Versuch nichts einzuwenden. «Grundsätzlich gibt es in der Demokratie keine endgültigen Entscheide.» Allerdings hält Gross den Weg über die Standesinitiative für falsch. In diesem Fall muss das Basler Parlament über den Vorstoss entscheiden. Erlangt dieser eine Mehrheit, wird er vom Kanton an den Bund überwiesen. Dass eine Mehrheit des National- und Ständerats eine «solche Infragestellung eines Volksentscheides» befürworten würden, hält Gross jedoch für praktisch ausgeschlossen. Sie würde sich nicht dem Verdacht aussetzen wollen, sich über Volksentscheide hinwegsetzen zu wollen. Gross empfiehlt Rechsteiner daher, eine Volksinitiative zu lancieren. «Wenn dies schnell passiert und von vielen Hunderttausend Menschen getragen würde, dann fände es die Legitimität, dass man zweimal über die gleiche Sache abstimmt.»

Stefan Häne

Es seien hier noch die «interessanten Ausführungen» nachgeliefert, die Basis für obiges Presseschnipsel waren: (FK)

Sehr geehrter Herr Häne

Grundsätzlich gibt es in der Demokratie keine endgültigen Entscheide. Jeder darf immer wieder auf einen Entscheid zurückkommen und sogar eine erneute Verfassungsänderung der eben angenommen Änderung vorschlagen.

Die grosse Kunst dabei ist freilich, den richtigen Zeitpunkt zu finden, wann man diesen Rückkommensversuch startet. Denn man muss ja mit diesen Versuchen schliesslich immer eine Mehrheit der Stimmenden überzeugen können.

Ich erinnere mich sogar an einen Fall, da wurde das Verlangen nach einer Wiederholung der Abstimmung schon vor der ersten Abstimmung angekündigt. 1989 kündigten überzeugte Anhänger der Armee an, sie würden für den Fall, dass die Armeeabschaffung am 26.11.1989 eine Mehrheit von Volk und Ständen finden würde, sofort eine neue Volks­initiative zur Wiedereinführung der Armee lancieren. Und ich hatte darauf gemeint, dagegen hätte ich gar nichts einzuwenden, denn ich sei durchaus dafür, dass wichtige Fragen zweimal gleich beantwortet würden - doppelt genäht hält bekanntlich besser.

Deshalb kann man prinzipiell gegen Ruedi Rechsteiners Versuch nichts einwenden.

Allerdings ist der Weg, den er vorschlägt, nicht brauchbar. Sein Präzedenzfall war ein Gesetz, das in einem Referendum zu Fall kam und dann durch ein neues Gesetz korrigiert wurde, gegen das das Referendum nicht zustande kam. Wir haben es aber am vergangenen Sonntag mit einer Verfassungsänderung zu tun. Die Standesinitiative verlangt also eine sofortige nochmalige Änderung der eben beschlos­senen Änderung, welche nach der Zustimmung durch die beiden Kammern der Abstimmung von Volk und Ständen unterbreitet werden würde.

Dass National- und Ständerat mehrheitlich eine solche Infragestellung eines Volksentscheides befürworten würden, ist praktisch ausgeschlos­sen. Sie würden sich in ihrer Mehrheit nicht dem sowieso schon herr­schenden Verdacht aussetzen wollen, sich über, wenn auch nur knappe, Volksentscheide hinwegsetzen zu wollen. Gerade weil sie eben nicht oft das machen, was sie wollen, und sehr auf die Bürger hören.

Besser wäre also, wenn Ruedi Rechsteiner mit anderen zusammen sofort eine Volksinitiative lancieren würde zur Korrektur dieses, so wie er es sieht, Fehlentscheides! Wenn dies schnell passiert und von vielen Hunderttausend Menschen getragen würde, dann fände es die Legitimi­tät, dass man ausnahmsweise eben doch, wie die Armeefreunde dies auch getan hätten, zweimal über die gleiche Sache abstimmt. Und dies würde beim zweiten Mal sicher mit mehr Kenntnissen und Einblicken in die Vorlage geschehen.

Eine zweite Abstimmung über das gleiche Thema in so kurzer Folge hat es bisher meines Wissens noch nie gegeben. Man versuchte solches höchstens einige Jahre später, dies aber bereits verschiedene Male. Berühmt sind die Korrekturen von 1971, als die Männer ihren Entscheid von 1959 korrigierten und den Frauen das Stimmrecht gestatteten und 2002, als Volk und Stände einen Entscheid von 1986 korrigierten und die Schweiz der UNO beitrat.


Kontakt mit Andreas Gross



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